Wow, was für ein Erlebnis! Wir verbringen eine Nacht und zwei Tage bei einer Massaifamilie in der Nähe von Arusha. Nun sind wir wieder zurück auf „unserem“ Stadtcampingplatz, ziemlich ko und – ja, ziemlich beglückt. Und so kam es dazu:
Wie bereits vor ca. zwei Wochen berichtet, haben wir im Süden Tansanias nach der Wanderung auf den Ngozi Krater zwei junge Studenten bis zur nächsten Stadt im Onkel Deutz mitgenommen. Sie waren uns dafür sehr dankbar und daraufhin lud Bahati uns zu seiner Familie nach Arusha ein. Wir haben die Handynummern ausgetauscht und sind seitdem in Kontakt per WhatsApp. Die vielen Nachrichten („my friend, how are you?“ …) haben uns schon fast genervt und wir waren uns nicht sicher, ob Bahati es ehrlich meint oder ob er uns als Touristen abschleppen möchte. So die Vorgeschichte …Also, wir kommen am Samstag in Arusha an (allerdings leider ohne vorher den Kilimandscharo gesehen zu haben) und verabreden uns für Sonntagvormittag mit unseren beiden Massaifreunden Bahati und Kuryanga. Sie rufen zweimal an, weil sie nicht wissen, wo sich unser Campingplatz befindet, doch dann kommen sie und bringen auch noch Paul mit, den Cousin von Bahati.
Wir setzen uns zusammen an den Tisch und besprechen, was sie denn so vorhaben. Ihr Plan ist es, mit uns und Onkel Deutz in ihr ca. 50km entferntes Dorf zu fahren, um dort ihre Familie kennenzulernen. Die Einladung hört sich sehr ehrlich an: wir sollen als ihre Freunde kommen und nicht als Touristen. Ok, wir lassen uns darauf ein.
Aber zunächst einmal laden wir die drei zu einem deutschen „Mittagessen“ ein: Es gibt Müsli, wir tischen aber auch noch Brot, Rührei und Reis auf. Müsli haben sie noch nie in ihrem Leben gesehen, Paul probiert es tapfer – es scheint ihm sogar zu schmecken. Auch Brot ist ihnen eher fremd, Käse kennen sie auch nicht. Dafür mögen sie das Rührei und den Reis.

Dann geht es los. Doch bevor wir die Stadt verlassen, wollen wir noch Geschenke für Bahatis Eltern einkaufen. Wir halten also in einem Stadtteil Arushas, in dem man Massaitücher und -decken kaufen kann. Nach einiger Zeit finden wir das richtige, außerdem noch eine große Tüte Süßigkeiten für die Kinder, und folgen dann der Hauptstraße stadtauswärts in Richtung Westen (Ngorogokrater). Doch bereits nach knapp 50km und weit vor Beginn des Nationalparks biegen wir von der Hauptstraße ab auf eine kleine geteerte Straße und von dort nach ca. 2km auf einen Fußweg. Ja, ein Fußweg. Das Dumme ist, dass dieser Fußweg insgesamt vier tiefe Gräben kreuzt, die wirklich nicht für Autos, Trucks oder dergleichen geeignet sind. Aber wir haben ja Onkel Deutz. Und der muss richtig arbeiten! Beim ersten und zweiten Graben kommen wir gerade so durch. Dann kommt der dritte. Der ist wahnsinnig tief und sehr schmal! Die Vorderräder sinken plötzlich hinunter, dann wieder hoch, dann die Hinterräder. Es kracht – wir sitzen hinten mit dem Ersatzrad auf – die Hinterräder drehen durch, kurz hängen wir fest! Und dann arbeitet sich der Onkel aus dem Graben heraus. Aber irgendetwas hat Schaden genommen, denn wir hören ein seltsames neues Geräusch. Mist! Jochen checkt kurz die Lage: das Ersatzrad, das hinten unter Onkel Deutz hängt (immer noch provisorisch), ist etwas lose, geht aber noch. Jetzt erstmal weiterfahren.
Ein vierter Graben taucht auf. Zum Glück können wir den relativ gut umfahren und es wird nicht so schlimm. Dann sind wir endlich da. Vor uns taucht ein mit Aloen und Dornenhecken umgebenes kleines Lehmhüttendorf auf. Hier wohnt Bahatis Familie. Es sind ca. 15 kleine runde Hütten, der Durchmesser des gesamten Areals beträgt schätzungsweise 500m.
Die letzte Schwierigkeit ist das sehr kleine Eingangstor durch die Dornenhecke. Aber mit 2cm Platz rechts und links von Onkel Deutz kommen wir gerade so durch und betreten das Gelände dieser großen Massai-Familie.

Eigentlich sieht man so etwas nur im Film. Und ich dachte nicht, dass es heute noch Menschen gibt, die so traditionell leben. Vor allem nicht hier in der Nähe von Arusha, der größten Touristenstadt in Tansania. Aber wir stehen nun vor dem leibhaftigen Beweis. Es gibt sie noch, die Massai, und es hat sich in den letzten 200 Jahren nicht viel geändert. Sie sind traditionell in verschiedenfarbige Tücher gekleidet, die sie um ihre Schultern hängen, die Männer lehnen sich an ihren Hirtenstock und manche haben eine lange Machete an ihrem Gürtel hängen, die Frauen tragen sehr große Ohrringe und haben riesige Ohrlöcher. Über ihr Ansehen, ihren Verdienst und ihre Rente entscheidet einzig und allein die Größe ihrer Rinder- und Ziegenherde.
Es gibt ein Familienoberhaupt, das ist der 84-jährige „Papa“, dazu gehören seine 9 Frauen mit ihren vielen Kindern und zum Teil deren Kindern. Geschätzt befinden sich mindestens 60 Menschen in diesem Dorf, davon 40 Kinder. Sie leben alle gemeinsam in dieser Siedlung verteilt auf ca. 15 Hütten, die aus Ästen, Kuhdung und Lehm gebaut und mit einem Strohdach gedeckt sind. Unser Onkel Deutz wirkt riesig im Vergleich zu diesen Hütten.

Wir gehen zuerst zu „Papa“ zur Begrüßung. Das Familienoberhaupt ist in rote Gewänder gekleidet und sitzt auf einem Plastikstuhl in der Mitte des Areals. Von dort steuert und überwacht er seine komplette Familie. Bahati neigt seinem Vater gegenüber den Kopf zur Begrüßung, dieser berührt ihn dort kurz mit der Hand. Auch Silas, Juli und Mio verneigen ihren Kopf vor ihm und werden auf die gleiche Art begrüßt. Jochen und ich geben ihm die Hand. Er fühle sich sehr geehrt von dem weißen Besuch, übersetzt uns Bahati, der als einziger (zusammen mit Paul) in seiner Familie Englisch spricht. Dann begrüßen wir auch einige der Geschwister und Mütter, dabei ist auch Bahatis richtige Mutter (sie ist die erste Frau des Vaters). Wir machen einige Familienfotos in verschiedenen Konstellationen, immer möchten alle danach das Bild auf dem Bildschirm anschauen und gestikulieren dazu. Die Massai, vor allem die Kinder, sind in diesen ersten Stunden aber noch sehr zurückhaltend und schüchtern. Kaum einer traut sich mit uns zu sprechen. Erst als wir die mitgebrachten Süßigkeiten verteilen, kommen alle her und wollen etwas abbekommen. Da ist das Eis schon etwas gebrochen.

Dann holt uns Bahati und möchte uns eine Ziege zeigen. Er teilt uns mit, dass diese Ziege jetzt uns zu Ehren geschlachtet wird und lädt uns ein zuzuschauen. Juli bricht sofort in Tränen aus. Und Mio ist sowieso immer nah am Wasser gebaut. Große Katastrophe!! Die Massai verstehen überhaupt nicht, was vor sich geht. Eine Ziege zu schlachten ist in ihrer Kultur das höchste Geschenk, das man einem Gast machen kann. Und dazu gehört, dass man ihm die Ziege auch vorher zeigt. Wir versuchen zu erklären … Juli und Mio beruhigen sich wieder und ich nehme alle drei Kinder zur Seite, so dass sie nichts von der Schlachtung mitbekommen. Jochen schaut zu – er ist schließlich ein Mann! Kurze Zeit später drängen die Massai auch Silas dazu, das tote Tier zu betrachten. Und schließlich überwindet er sich: Es ist gar nicht so schlimm, erzählt er als er zurückkommt. Sogar Juli schafft es nach einer gewissen Zeit einen kurzen Blick auf die Ziege zu werfen.

Nun brauchen die Kinder definitiv eine Pause. Sie ziehen sich in den Onkel Deutz zurück und malen Bilder von zuhause als Gastgeschenk. Ich mache mich währenddessen auf die Suche nach einem geeigneten Platz für mein kleines Geschäft. Da es keine Toiletten gibt, verlasse ich das Dorf in der mir angewiesenen Richtung durch das Heckentor in Richtung Maisfeld. Nur zu dumm, dass mir eine junge Massai begegnet, die meine Richtung missversteht und mich bis zum Maisfeld verfolgt. Dort pflückt sie mir einen Maiskolben ab und zeigt ihn mir. Ich versuche ihr verstehen zu geben, dass ich mich freue und dass sie jetzt aber gehen kann. Sie bleibt hartnäckig. Da bleibt mir nichts Anderes übrig, als unverrichteter Dinge wieder ins Dorf zurückzukehren, auch wenn der Blasendruck inzwischen mächtig angestiegen ist! Jochen möchte gerade mit Paul und Kuryanga zu einem Abendspaziergang aufbrechen. Ich darf mich ihnen anschließen und habe nun die berechtigte Hoffnung, dort einen geeigneten Busch zu finden – was sich auch als kein Problem herausstellt.
Die Sonne geht wunderschön hinter dem Dorf unter. Ein Bilderbuchmotiv. Die beiden jungen Massai erklären uns, welches Land dem Vater und der Familie gehört und dass es dieses Jahr genug Gras für die Rinder zu fressen gibt. Es sei ein gutes Jahr mit genügend Regen. Ganz anders als im Jahr 2000, als eine große Dürre über die Hälfte aller Massai-Rinder dahinraffte, so dass einige Massai sich aus Verzweiflung und Hunger das Leben nahmen.

Der Tag geht zu Ende und wir versammeln uns um sieben Uhr in der Hütte der Männer, um das Festmahl einzunehmen. Wir hoffen sehr, dass wir es irgendwie essen können, denn eigentlich mögen wir alle fünf kein Ziegenfleisch. Dazu kommt, dass diese Massai ihr Wasser aus einem ziemlich verschmutzten Tümpel holen, von dem wir auf keinen Fall trinken möchten. Aber dass sie ihr Geschirr damit waschen, das lässt sich natürlich nicht vermeiden. Mal schauen, ob unsere Mägen genügend abgehärtet sind!
Aber erst einmal dauert es noch ziemlich lange. Es wird 8 Uhr, halb 9, 9 Uhr. Wir sitzen immer noch in der Hütte, gemeinsam mit ca. 8 weiteren Männern. Die Unterhaltung ist schleppend, denn wir können ja nur mit Paul bzw. Kuryanga sprechen, Bahati ist ziemlich im Stress mit der Vorbereitung des Essens und nur selten da. Endlich, um kurz nach 9 Uhr wird das Essen aufgetragen. Unsere Mägen hängen unglaublich tief und es ist uns inzwischen egal, wie das Essen ausschaut. Es gibt Reis, einen Topf mit gekochtem Ziegenfleisch (ähnlich wie Gulasch), gegrilltes Ziegenfleisch und eine große Platte mit aufgeschnittenem Obst und Gemüse (alles gemischt: von der Wassermelone über Papaya, Orange, Gurke, Karotte bis zur Avocado). Wir bekommen sogar Teller und Besteck, aber ein Großteil der anwesenden Massai isst mit der Hand. Kuryanga spricht ein kurzes Tischgebet (diese Familie ist lutheranisch!), dann fangen wir gemeinsam an. Es schmeckt wundersamerweise alles ziemlich gut! Wir halten uns vor allem an den Reis, doch auch das Ziegenfleisch kann man essen, auch wenn es ziemlich zäh und zum Teil fettig ist. Auf so einem Bissen kann man ganz schön lange herumkauen!
Als wir alle unseren Hunger gestillt haben, wird es Zeit die Gastgeschenke zu überreichen. Zunächst einmal erhalten wir als Gäste ein Geschenk: „Papa“ überreicht Jochen und Silas jeweils eine schöne Perlenkette begleitet von sehr freundlichen wohlwollenden Worten. Dann schenkt die „Mama“ Juli, Mio und mir jeweils ein paar Massai-Ohrringe aus Perlen (in der entsprechend großen „Massai-Größe“). Ich habe schon seit einem halben Jahr keine Ohrringe mehr getragen, Juli und Mio haben gar keine Löcher. Zum Glück bekomme ich sie trotzdem durch und kann sie mit Stolz vorführen! Juli und Mio hängen sich die Ohrringe ins Haar und ernten Gelächter!
Dann dürfen wir unsere Gastgeschenke überreichen: Für „Papa“ eine sehr schöne dicke Wolldecke und für „Mama“ ein Massaituch. Die Kinder verschenken ihre selbstgemalten Bilder. Wir hoffen, sie freuen sich.
Und dann bekommen wir noch etwas: Bahati hat sich beim Mittagessen noch auf dem Campingplatz erkundigt, was wir denn gern trinken. Und nun stellt euch vor: Er hat für uns einen ganzen Karton Getränke organisiert – wir haben zufällig mitbekommen, wie ein Motorradfahrer die Kiste angeliefert hat – mit Bier, Fanta, Cola und Wasserflaschen! Dieser Karton wird uns nun auch noch überreicht. Wir sind überwältigt von so viel Gastfreundschaft, Planung und Mitdenken! Zum Glück nehmen sich die anderen alle auch etwas zu trinken, selbst „Papa“ trinkt eine Flasche Bier.
Die Kinder sind inzwischen sehr müde und verabschieden sich ins Bett, während wir noch eine Weile beim Bier beieinandersitzen bevor wir gegen 23 Uhr todmüde in unser Dachzelt fallen. Was für ein Tag!

Der Morgen beginnt recht früh, ich habe den Wecker auf 6.45 Uhr gestellt, denn Juli möchte um 7 Uhr beim Melken der Kühe dabei sein. Auch Mio ist schon wach, wir ziehen uns schnell an und gehen hinaus in die morgendliche Kühle. Es weht ein unangenehmer Wind und es ist ziemlich frisch. Die Rinder befinden sich nachts in einem kleinen abgesteckten Areal am Rande des Dorfes, tagsüber werden sie von den Hirtenjungen auf die Weide gebracht. Sie haben alle nur ein winziges Euter, aus dem kaum mehr als ein halber Becher Milch herauskommt. Um zu melken, werden zunächst die Kälbchen zu den Müttern gelassen, sie dürfen etwas trinken, dann werden sie festgehalten, so dass die Massai nun selbst melken kann. Es ist sehr mühsam, und Juli schafft nicht mehr als ein paar Tropfen herauszubekommen. Sie muss einen Massai-Umhang tragen, damit ihr „Mzungu-Geruch“ überdeckt wird. Kuryanga hat Juli am Vortag versprochen, dass sie heute Morgen auf den Eseln reiten darf. Darauf hat sie sich sehr gefreut. Leider klappt es dann doch nicht, denn eigentlich sind die Esel gar nicht darauf abgerichtet, einen Reiter zu tragen. Sie sind es nur gewohnt, Wasser zu schleppen. Juli schluckt dreimal, um ihre Enttäuschung zu verbergen. Dafür darf sie nach dem Frühstück mit den Eseln und einigen Massai zum Wasserholen laufen.

Zum Frühstück ziehen wir uns in den Onkel Deutz zurück. Wir brauchen eine Pause, um die vielen Eindrücke zu verarbeiten. Obwohl ich Bahati extra gefragt habe, bin ich mir nicht sicher, ob es ihn nicht enttäuscht hat, dass wir nicht mit ihnen frühstücken. Ich glaube, er hat extra ein Brot für uns besorgt, das er uns jetzt eben vorbeibringt.
Nach dem Frühstück bekommen wir Besuch von den übrigen Familienmitgliedern. Alle wollen unseren Truck besichtigen und klettern die Leiter empor, sogar das 84-jährige Familienoberhaupt. Die Massai sind nicht mehr so schüchtern wie am Vortag, einige trauen sich sogar unsere Haare zu berühren, was sie irgendwie besonders spannend finden. Sie sind sehr erstaunt über alles, was wir in unserem „Haus“ so haben – vom fließend Wasser angefangen, über die Töpfe, die Schränke, das Sofa bis hin zur Toilette und zum Kühlschrank. So etwas haben sie noch nie in ihrem Leben gesehen. So richtig weiß ich aber nicht, was ihnen so durch den Kopf geht, wenn sie diesen ganzen Luxus sehen ….
Eine der Frauen (ich glaube, es ist Bahatis Schwester) drückt mir beim Herausgehen ihr Kleinkind in den Arm. Der Junge schreit zwar nach seiner Mutter, sie lacht und geht einfach fort. Da stehe ich nun etwas ratlos im Onkel …, zum Glück hat die Mutter ihm ein Bonbon gegeben, das ich ihm nun auspacke und ihm zum Lutschen an den Mund halte. Das hilft! Nun habe ich nur noch etwas Sorge, dass der Junge vielleicht mal pinkeln oder noch etwas Anderes muss, er trägt natürlich keine Windel. Dabei fällt mir ein, wie erstaunlich das ist, dass weder die Kinder noch die Erwachsenen hier irgendwie ungut riechen, obwohl es definitiv keine WCs, Toilettenpapier geschweige denn Windeln gibt. Wie sie das allerdings machen, ist uns ein Rätsel. Vielleicht wollen wir es auch gar nicht so genau wissen…

Der Vormittag zieht sich nun etwas in die Länge. Wir sind noch zum Mittagessen eingeladen, danach wollen wir gemeinsam mit Bahati, Kuryanga und Paul zurück nach Arusha. Ein Großteil der Kinder ist in der Schule, Juli ist mit ein paar Frauen und den Eseln zum Wasserholen unterwegs, einige Massai sind bei der Feldarbeit und einige hüten die Kühe bzw. Ziegen. Der Rest hängt hier im Dorf ab und hat nicht viel zu tun.

Die Massai haben eine sehr genaue Gesellschaftsstruktur mit strikten Regeln: Die Männer sind in Alterklassen unterteilt:

  • Bis etwa 14 Jahre: Kinder, zuständig fürs Kleinvieh hüten
  • Bis etwa 30 Jahre: Junge Krieger, zuständig für die Verteidigung des Viehs, der Felder und der Dorfgemeinschaft
  • Bis etwa 44 Jahre: Seniorkrieger, zuständig für das Gründen einer Familie und die Verteidigung ums Haus/Dorf herum.
  • Älteste

Der Übergang vom Kind zum Krieger ist begleitet von der Beschneidung und einer Reihe von Übungen und Prüfungen. Erst wenn diese bestanden sind, darf der Junge sich in die Reihen der Krieger gesellen. Man erkennt die Jungen, die sich in der „Prüfungsphase“ befinden daran, dass sie ihre Gesichter mit weißer oder roter Farbe schminken, erklärt mir Bahati. Auch wir sehen solche Jungen, allerdings nicht im Dorf, sondern auf dem Weg dorthin.
Früher war es sogar so, dass diese Kriegerklasse in einem separaten Dorf wohnte, heute aber leben sie in ihren Familien, schlafen aber in einer getrennten Hütte.

Für die Frauen gibt es keine entsprechende Einteilung oder Klassifizierung. Sie heiraten (oft noch sehr jung) und leben ab diesem Zeitpunkt im Dorf des Ehemannes. Sie haben dann meist nur noch wenig Kontakt zu ihrem Elternhaus.
Wenn man von Frauen spricht, so muss man auch die Beschneidung der Frau erwähnen. Das ist ein schwieriges Thema in ganz Afrika, besonders aber unter den Massai. Es gehört zu ihrer Tradition, dass die Frauen beschnitten werden. Die gebildeten Massai – wie zum Beispiel Bahati oder Kuryanga – wissen um die Problematik und kämpfen bereits dagegen an.

Durch den Umstand, dass die Massai mit ihrer traditionellen Lebensweise in einer modernen Welt leben, in der es eigentlich keine wilden Tiere mehr gibt, gegen die die Krieger ihr Vieh verteidigen müssen und keine Stämme, gegen die Krieg geführt wird, hat die Kriegerklasse in unseren Augen ihre (Haupt-)Aufgabe bzw. vielleicht sogar ihre Daseinsberechtigung verloren. Wir sehen die Krieger zwar noch mit Machete und Hirtenstab bewaffnet herumlaufen, aber wofür? Laut Bahati hat es bis vor fünf Jahren noch Löwen in dieser Gegend gegeben, aber nun sind alle verschwunden und nur noch im Nationalpark zu finden. Wir glauben, dass es eine der größten Herausforderungen für die Massai in den nächsten Jahren sein wird, den Wandel der Zeit in ihre Gesellschaftsstruktur zu integrieren, ohne dabei ihre Werte und Traditionen verraten zu müssen. Wie und ob sie das schaffen, ist für uns im Moment nicht abzusehen, die ersten Anzeichen des Wandels sind jedoch unverkennbar: die Massai-Kinder gehen in die Schule, einige auserwählte dürfen sogar studieren und sich damit außerhalb der engen Welt der Massai bewegen. So wie Bahati werden diese jungen Erwachsenen versuchen, ihr Leben der modernen Welt anzupassen, und wir hoffen, dass sie es schaffen, beide Lebensweisen zu integrieren. Aber es ist ein Spagat.
Unbedingt erhalten müssen sie sich das Leben in der Großfamilie und den damit verbundenen Familienzusammenhalt, der ihnen großen Halt und Sicherheit gibt. Auch der Stolz auf ihre Tradition, ihr Mut und ihre Gastfreundschaft sind unserer Meinung nach unbedingt zu bewahren.

Die Massai finden es an diesem Vormittag sehr interessant, uns zu beobachten. Und wir spielen die Alleinunterhalter. Das ist auf die Dauer etwas anstrengend! Wir packen das Spiel „Twister“ aus, bei dem man auf dem Boden irgendwelche Verrenkungen machen muss. Die Kinder schauen nur zu, trauen sich aber nicht mitzumachen.
Nach einiger Zeit geben wir auf und holen einen Ball. Hier spielen immerhin zwei bis drei Kinder mit. Ein Mädchen mit einem Baby auf dem Rücken ist am engagiertesten dabei. Das Baby wird hin- und hergeschleudert, schläft aber seelenruhig.
Danach laden wir das Einrad und schließlich auch das Fahrrad ab, aber auch hier ist das Interesse eher verhalten. Beim Hüpfspiel mit Steinchen ist wieder die ein oder andere dabei und dann fällt uns langsam nichts mehr ein.
Endlich kommt die Eselkarawane mit dem Wasser und Juli. Sie ist ziemlich erledigt von dem langen Marsch. Nun können wir essen. Wir versammeln uns mit unseren drei Freunden und noch einigen anderen jungen Männern aus der Kriegerklasse (diesmal ohne Frauen) in der Hütte. Es gibt nochmals Ziegenfleisch, Reis und Obst bzw. Rohkost. Das Ziegenfleisch ist noch etwas zäher als am Vorabend, und Jochen und ich bekommen es heute wirklich nicht herunter. So gut es geht, versuche ich die Reste unter den Melonenschalen zu verstecken. Die Massai haben kein Problem, das Fleisch mit den Zähnen vom Knochen abzuziehen.

Zum Abschluss werden wir alle noch in traditionelle Massai-Tücher gehüllt. Als Frauen trägt man drei Tücher übereinander, alle werden in unterschiedlicher Weise über der Schulter zusammengeknotet, wobei das unterste noch mit einem Gürtel befestigt wird. Es ist erstaunlich bequem, nichts rutscht oder verheddert sich. Jochen und Silas bekommen zusätzlich noch einen Hirtenstab.
Als wir vor der Hüttentür erscheinen, stehen alle Massai um uns herum und finden uns ziemlich komisch. Wieder machen wir eine Menge Fotos an unterschiedlichen Orten und in unterschiedlicher Zusammensetzung.

Nun haben es alle plötzlich ziemlich eilig. Wir müssen los, damit wir es noch vor Einbruch der Dunkelheit bis Arusha schaffen. Außer unseren drei Freunden sollen wir noch den „Papa“ mitsamt zwei Begleitern mitnehmen, und dann landen auch noch ein Sack Reis und ein lebendiges Huhn im Onkel. Letzteres kommt doch wieder hinaus, warum auch immer.
Silas und Mio geben noch ein kleines Abschiedskonzert auf der Flöte, dann geht es los.
Wir sind also vollgepackt mit 11 Personen, einem Sack Reis und ich frage mich, wie wir bzw. Onkel Deutz die vier Gräben überstehen sollen. „Papa“ sitzt vorn neben mir und ich muss immer wieder verwundert auf diesen so ungewohnten Beifahrer schauen. Er macht sich ganz schön breit auf der engen Bank.
Die Gräben gehen dann besser als erwartet: der erste ist wie erwartet einfach, der zweite ist wie erwartet tief und schmal. Es gibt auch keine Alternative, wir müssen wieder hindurch. Jochen ist guten Mutes und lässt Onkel Deutz langsam hineinrollen. Die Vorderreifen schaffen es hinaus, doch die Hinterreifen bleiben hängen und drehen durch. „Mist!“, denke ich und möchte alle Insassen aussteigen lassen. Doch Jochen schaltet ganz gechillt die Differentialsperre ein, und Onkel Deutz arbeitet sich gemütlich aus dem Graben. Diesmal kracht auch nichts. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Die beiden folgenden Gräben können wir mit Hilfe von Bahati und der Erlaubnis von „Papa“ umfahren, indem wir mitten durch seine Maisfelder preschen. Ohne weitere Schäden gelangen wir auf die Teerstraße und dann zur Hauptkreuzung, wo wir „Papa“ und seine beiden Begleiter samt Reissack aussteigen lassen. Ohne Abschiedsworte machen sie sich auf den Weg. Was „Papa“ so von uns und unserem Besuch hält, können wir in keiner Miene erkennen.

Zurück nach Arusha geht es jetzt nur noch mit unseren drei Begleitern, der Onkel kommt uns richtig leer vor. Dort suchen wir noch kurz einen Laden auf, in dem wir ein paar Fotos für Bahatis Familie ausdrucken können. Damit wollen wir ihnen eine Freude machen und ich glaube, das ist uns auch gelungen. Schließlich landen wir gegen 17 Uhr wieder auf dem Massai Campground in Arusha. Der Abschied von Bahati, Kuryanga und Paul ist sehr emotional und zieht sich in die Länge. Bahati kommen fast die Tränen und er bedankt sich tausendmal für unseren Besuch. Spontan schenkt er Silas sein Armband und Silas gibt ihm ein selbst gemachtes zurück. Nachdem wir Facebook-, Email- und sonstige Kontakte ausgetauscht haben, machen sich die drei endlich auf den Weg. Sie übernachten bei einem Freund in Arusha und müssen morgen in die Bezirkshauptstadt, um zu erfahren, wie ihre Prüfungsergebnisse ausgefallen sind bzw. an welcher Universität sie jetzt weiterstudieren dürfen.

Wir sind froh, als wir wieder allein sind, bis über den Rand voll mit beeindruckenden Erlebnissen, die wir erst einmal verarbeiten und verdauen müssen. Wir beschließen, einen Ruhetag in Arusha einzulegen bevor wir uns morgen auf den Weg über die Grenze nach Kenia machen.
Wir fühlen uns sehr staubig, sehr erschöpft und sehr glücklich. So ähnlich geht es auch Onkel Deutz, so dass wir zuerst ihn auf Vordermann bringen und dann uns selbst unter die heiße Dusche stellen. Nach einem großen Abendessen mit einer riesigen Menge Nudeln fallen uns bei der Vorlesegeschichte schon fast die Augen zu. Wir alle haben in diesen beiden Tagen mehr gelernt als in einem Monat Schulunterricht, die Reisemüdigkeit ist überwunden und voll gefüllt mit wunderschönen Erinnerungen legen wir uns an diesem Abend schlafen.